RESTAURANT OUKAN IN BERLIN-MITTE: ADIEU, VEGANES KLISCHEE!

Mein Ziel war, irgendwann eine Restaurantkritik zu schreiben, in der erst im allerletzten Satz steht: „Ach übrigens. Die Küche ist vegan.“ Ob mit oder ohne tierische Produkte gekocht, finde ich, das sollte kein Kriterium mehr sein. Weder als Bekenntnis zu einer Küchenphilosophie, noch als Beweggrund für eine bestimmte Zielgruppe hinzugehen und für eine andere wegzubleiben. Der Idealfall ist doch, dass mir als Gast erst hinterher aufgeht, rein pflanzlich gegessen zu haben, und zwar, weil es so aufregend anders geschmeckt hat.

Die landläufige Meinung ist immer noch, dass pflanzenbasiertes Kochen einschränkt. Viele Gerichte beweisen heute: Das Gegenteil ist der Fall. Es ist bereichernd, weil es die Küche zu einem kreativen Umgang mit Produkten herausfordert, zu neuen Techniken und Ideen anregt.

Kürzlich etwa habe ich ein Schälchen mit feinsten Nudeln in einer Umami-Bomben-Soße mit etwas Habanero-Chili-Brotcrumble obenauf serviert bekommen. Ein Gericht, auf das die Welt nur gewartet hat. Ich hatte schon einige Gabeln aufgedreht, bis sich die Nudeln als hauchdünn geschnittene Kräuterseitlinge entpuppten. Später erfuhr ich vom Küchenchef, dass er die Pilze mit Kombu-Alge fermentiert hatte, weil das ihren Geschmack boostet und ihre Textur nudelähnlich macht. Auch die scheinbar so fischig-fleischige Soße war vollkommen ohne Tier hergestellt. Sie bestand aus Kräuterseitling-Extrakt und Zwiebeln und war mit Verjus, Thymian und schwarzem Limettenpulver für die Säure abgeschmeckt, was zu einem Aromenfeuerwerk zusammenfand.

Wo ich dieses erstaunliche Gericht aß? Im Oukan, einem mit vegan-japanischem Profil bekannt gewordenen Restaurant, das seit Ende letzten Jahres einen neuen Küchenchef namens Timur Yilmaz hat.

Auch wenn ich gleich anfangs auf dem Thema vegan herumreite, obwohl ich es in dieser Kritik gerne beiläufig am Ende erwähnt hätte. Ich versichere: Dieses Restaurant ist so außergewöhnlich, dass das Label vegan im Sinne von rein pflanzlich ohnehin zu kurz greift. Das Oukan ist ein Gesamtkunstwerk, was Innenarchitektur, Atmosphäre, Team, Küche und die mögliche Tee-Begleitung betrifft.

Optisch ist das Hinterhof-Restaurant einem modernen buddhistischen Tempel nachempfunden, mit klaren Linien, abgestuften Schwarztönen und Séparées als Ruheinseln. Das Minimaldesign hat sich Huy Thong Tran Mai ausgedacht, Buddhist und studierter Modedesigner sowie einer der vier Geschäftsführer. Tatsächlich würde sich der Ort auch bestens für ein Meditationsseminar eignen. Noch lieber ist mir natürlich das 7-Gang-Sinneserlebnis mit Tee-Zeremonie, das mich stattdessen erwartet.

Passend zur Umgebung hat der neue Küchenchef Timur Yilmaz konzentrierte Teller geschaffen, die sich abseits gängiger Rezepte bewegen und auf denen sich Geschmack verdichtet. Zu Kombujime Eringi, den bereits erwähnten Nudeln aus Kräuterseitling, hatte ihn ein Tintenfisch-Gericht in Neapel inspiriert, das er „nachbauen“ wollte. Vegan zwinge ihn, alles neu zu denken, sagt er.

Vermutlich ist es eher ein Segen, dass Timur Yilmaz den Beruf nie gelernt hat, zumindest nicht klassisch mit Kochlehre. Aufgewachsen in Belgien in einer deutsch-türkisch-italienischen Familie stand er früh in der Küche, weil beide Elternteile berufstätig waren. Trotz seiner Liebe zum Kochen ging er auf Nummer sicher, studierte BWL, arbeitete dann in der Medienbranche, für die ein Job ihn im Jahr 2014 nach Berlin führte.

Ein Sog zog ihn jedoch immer wieder in die Küche. Er heuerte bei Max Strohe im Tulus Lotrek an, dann im inzwischen geschlossenen Cell, wo er sich bis zum Chef de Partie hocharbeitete. Schließlich tingelte er als Praktikant durch die Welt, um sich bei den besten des Fachs abzugucken, was er wissen muss. Vom „World’s 50 Best Restaurant“ Pujol in Mexiko-City ging es nach Schweden ins Zweisternerestaurant Daniel Berlin, dann ins Dreisternerestaurant Frantzén.

Zurück in Berlin bewarb er sich im Dessert-Restaurant Coda, dann im Merold, wo er auf den Fermentationsmeister Paul Krugmann traf, der nun ebenfalls zum Oukan-Team gehört. Im Fermentationslab im Keller des Oukan entstehen eigene Essige, Misopasten, Koji und Garums. Viele dieser Produkte haben ihren Ursprung in Japan, sie sind die Hilfsmittel, die die ungewöhnliche Aromatik der Teller ausmachen. Hinzu kommt, dass Yilmaz im Coda merklich an seiner Präzision und der Perfektion von Texturen gearbeitet hat.

Ein Beispiel ist einer der Hauptgänge: Maitake & Gersten-Koji heißt er. Noch nie habe ich diesen als Klapperschwamm bekannten Pilz, der auch wie ein Schwamm aussieht, derart perfekt zubereitet gegessen. Konfiert in Thymianöl wurde er gegrillt und anschließend mit Misowasser bestrichen. Außen sind die zarten Enden teilweise knusprig, weiter innen saftig, trotzdem nie labbrig. Der Pilz schmeckt würzig und nach Nuss, genial ausgedacht ist seine Kombination mit einem Gersten-Risotto. Dieses ist in ein Shisoblatt gehüllt, dazu gesellt sich beim Kauen ein süßlich-malziger Geschmack, weil die Gerste mit Koji fermentiert wurde.

Doch nicht genug: Eine zähflüssige Kaffee-Kirsch-Sake-Soße mit tollen Röstnoten ergänzt die so nah aneinanderliegende Aromen-Palette. Trotz alledem ist der Teller fast nüchtern angerichtet. Weitere Komponenten, wie Blumen, Kräuter oder Gel-Pünktchen wären überflüssig. Gang nach Gang wünschte ich, das Oukan-Menü möge nicht aufhören, weil immer wieder aromatische Überraschungen gelingen. Aber auch, weil manchmal ein bisschen mehr auf dem Teller sein dürfte; das ist meine einzige Kritik.

Besonders erinnerungswürdig sind die Dessert-Gerichte zum Schluss, die ich unbedingt noch beschreiben will. Ich schmecke die Inspiration aus dem Coda, weil hier Süße nicht aus herkömmlichen Zucker entsteht. Beim Granité aus unreifer, grüner Pflaume, das wie mit dem aus Bonito-Flocken bekannten Katsuobushi gewürzt scheint, entfaltet sich zunächst Säure, dann eine fischige Salzigkeit, bis zum Schluss eine leichte Süße übrigbleibt.

Ebenso beim seidigen Tofu, der mit Süßgras infusioniert ist und wie eine Pannacotta zu einem gepickelten Ingwer-Rhabarber-Kompott mit Pistazien und Koriandersamen gelöffelt wird. Für 15 Euro extra zum Menü lohnt auch das das Ya Bao Sandwich unbedingt. Nur soviel: Stellen Sie sich ein sehr ungewöhnliches Eis-Sandwich aus Tee vor, das jedoch so intuitiv lecker schmeckt wie das allererste Magnum in der Kindheit.

Nein, vegan als Label, das auf eine pflanzliche Küche verweist, hat im Oukan ausgedient. Hier lasse ich es höchstens in folgendem Kontext gelten: Als Label für eine Küche, die bei jedem Teller überraschenden Geschmackserlebnissen hinterherjagt.

Veganes 7-Gang-Menü 89 Euro, Weinbegleitung 75 Euro, Teebegleitung 65 Euro oder Gemischte Begleitung 70 Euro

Restaurant Oukan. Ackerstraße 144, 10115 Berlin, Di–Sa ab 18 Uhr, [email protected], Tel.: 54774716, www.oukan.de

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